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aus Heft
42/2002
KARRIEREN

Juliane-san

Das Baugewerbe in Japan wird von wenigen einheimischen Firmen beherrscht. Umso überraschender, dass eine junge Ostdeutsche sich hier durchgesetzt hat.

Japans Baustellen sind anders. Dass man ein fast fertiges Hochhaus nur mit Socken betreten darf, hat die Bau-Managerin Juliane Prechtl, 30, längst gelernt. Doch heute passiert ihr ein Missgeschick: Statt "Socken" sagt sie "Unterwäsche" - was auf Japanisch entfernt ähnlich klingt. Die Kunden blicken verwirrt - dann kichern sie fröhlich. Die Deutsche lacht mit.

Das Eis ist gebrochen, und bei diesem Geschäftstermin mit Architekten eines japanischen Baukonzerns kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Dabei ist an dem Zusammentreffen fast alles ungewöhnlich: Dass eine junge Deutsche japanische Fachleute in Tokio durch eine Baustelle führt, erstaunt ebenso wie die Tatsache, dass die moderne Glas- und Aluminiumfassade des Büroturms aus dem fernen Deutschland geliefert wurde.

Aber für Prechtl gehören exotische Situationen zum Alltag. Höflich gebeugt, wie es der Respekt vor potenziellen Kunden erfordert, führt die hoch gewachsene Deutsche ihnen vor, wie die Fassade sich computergesteuert je nach Witterung belüften lässt.

Wenn alles klappt, gewinnt Prechtl an diesem Tag einen wichtigen neuen Auftraggeber. Das Bürohaus nahe dem Kaiserpalast ist ihr Gesellenstück. Und für ihren Arbeitgeber, den deutschen Fassadenhersteller Gartner, ist das Gebäude ein Prestigeprojekt auf dem weltweit vielleicht schwierigsten Terrain der Baubranche.

Fast überall stattet das Gundelfinger Familienunternehmen, das seit knapp zwei Jahren zur italienischen Permasteelisa-Gruppe gehört, Großbauten mit Hightech-Fassaden aus. In vielen Ländern reicht der Hinweis auf Gartner-Projekte wie den Messeturm in Frankfurt am Main oder den Erweiterungsbau des Museum of Modern Art in New York, um Gartner für lukrative Aufträge ins Spiel zu bringen. Anders in Japan.

Dort wird der Markt fest von wenigen heimischen Baukonzernen beherrscht. Ein Geflecht von Beziehungen ersetzt meist klare Ausschreibeverfahren. Nur: Warum will ausgerechnet eine deutsche Firma ausgerechnet Nippons traditionelle Männerbranche ausgerechnet mit einer Frau erschließen?

Weil der Deutschen, obgleich gerade mal fünf Jahre in Japan, gelang, wovon viele ausländische Geschäftsleute sonst nur träumen. Prechtl ist bereits ein Teil des japanischen Netzwerks - nicht nur auf dem Bau: Kaum hat sie die Baustelle verlassen, verneigt sich ein Sonnenschirm vor ihr. Darunter taucht eine vornehme Dame auf, deren Gatte Minister in der japanischen Regierung ist.

Diese nützliche Bekanntschaft sei "auch so ein Zufall" - wie vieles im Leben der Ostdeutschen. "Wenn es die DDR noch gäbe", glaubt Prechtl, "wäre ich Spitzensportlerin geworden." Doch die Mauer fiel, und die Lehrertochter aus Jena studierte Architektur. Nach Studienaufenthalten in Schweden und den USA kam sie 1997 mit einem DAAD-Stipendium nach Japan, "aus Neugier".

Dort paukte Prechtl zunächst Japanisch, bevor sie ein Praktikum im Designbüro von Kajima, einem der größten Baukonzerne Nippons, absolvierte. Unter den japanischen Kollegen im Großraumbüro wirkte die blonde Deutsche wie von einem fremden Stern. Aber gerade deshalb weckte sie den Fürsorgeinstinkt der Japaner: "Sie nahmen mich an die Hand", sagt Prechtl. Fortan gehörte sie dazu.

Am liebsten hätte Kajima "Juliane-san", wie die Japaner sie nennen, fest als Architektin angeheuert. Doch die hatte in Japan längst eine Marktlücke entdeckt: moderne energiesparende Fassaden. Im zweitgrößten Industrieland der Erde werden Büros so lieblos hingeklotzt wie Privathäuser, die häufig nur aus Papier und Holz bestehen - Hauptsache: erdbebensicher. Im Zuge des Klimaabkommens von Kyoto will Japan aber den Kohlendioxid-Ausstoß deutlich senken - und hier sieht Prechtl wachsenden Bedarf für umweltfreundliche Fassaden made in Germany.

Inzwischen leitet sie ein Büro mit zehn Mitarbeitern mitten in Tokio. Es ist ein knochenharter Job, vor allem an Tagen wie diesem, an denen Tokios Klimaanlagen nur mühsam gegen die schwül-heiße Waschküchenluft ankämpfen. Prechtl hetzt zu einer Baufirma. Sie will Informationen über ein Hochhaus einholen, das angeblich im Zentrum geplant wird. An den Nebentischen in der Lobby hocken Vertreter anderer Zulieferer - alles japanische Männer in dunklen Anzügen.

"Kein Markt ist so gnadenlos streng wie Japan, was Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit angeht", sagt die Deutsche. Die Firma Gartner, die Fassadenteile größtenteils in Deutschland maßschneidert und in Containern nach Japan verfrachtet, darf sich keine Panne leisten. Dass Prechtl auch nachts und am Wochenende erreichbar sein muss, ist für japanische Baufirmen selbstverständlich.

Meist genießt die Deutsche die Hektik auf dem Bau: Es fasziniert sie, wie Arbeiter in speziellen Gummisocken auf Gerüsten balancieren, "geschmeidig wie Katzen". So auch im Tokioter Modeviertel Omotesando, wo Gartner die Fassade für eine Boutique der italienischen Marke Prada liefern soll: Das Sieben-Millionen-Euro-Projekt wirkt zwar fremd in seiner tristen Nachbarschaft. Aber was passt in Tokio, diesem Gewirr ohne Anfang, Mitte und Ende, schon zusammen?

So sei Tokio eben, befindet die Deutsche. "Diese Stadt wird nie langweilig", sagt sie, "deshalb macht es Spaß, hier zu bauen."

WIELAND WAGNER




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14. Oktober 2002 

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